Montag, 28. Januar 2019

Back to the Bikes

Nach fast zwei Monaten ohne unsere Motorräder, sind wir dann doch froh, als wir in Lucknow zurück sind und wieder einen fahrbaren Untersatz haben. Bablaa ist so nett uns spät nachts noch vom Flughafen abzuholen. Es ist wirklich im Vergleich zum Süden bereits bitter kalt.
Wir kommen wieder im selben Hotel unter und spendieren unseren Bikes am nächsten Tag erst einmal einen Satz neue Reifen. Ich hatte Bablaa bereits zuvor gebeten zwei Sätze zu bestellen. Das war auch bitter nötig. Wir fahren für den Reifenwechsel an eine der vielen Straßen Service Ständchen in der Stadt. Bablaa meint das wäre gut. Ich bin mir beim Anblick noch nicht so sicher, aber gut - die machen den ganzen Tag nichts Anderes und sollten ihr Handwerk verstehen.

Eine fragwürdige KonstruktionWir stellen unsere Bikes ab und die Jungs machen sich daran zu schaffen, während wir erst einmal gemütlich einen Tee trinken. Als ich dann wieder zu meinem Motorrad blicke, trifft mich fast der Schlag und ich kann gerade noch verhindern, dass der "Mechaniker"-Bub mit seinem vollem Gewicht auf den Schraubenschlüssel springt, da er meine vordere Steckachse nicht lösen kann. Der Depp hat die Klemmschrauben nicht gelöst und wollte die Achse einfach direkt rausschrauben, was natürlich nicht geht. Wieder etwas beruhigt, widme ich mich wieder meinem Tee. Um das Vorderrad herauszunehmen, balanciert er letztendlich das komplette Motorrad auf drei wackeligen Steinchen. Dass der Bremssattel eventuell hinüber ist, wenn das Motorrad von der fragwürdigen Konstruktion kippt, scheint dem Bub nicht bewusst zu sein. Miriam stellt sich dann lieber mal daneben um im Notfall eingreifen zu können. 

Ein Profi beim ReifenwechselMeinen Tee habe ich in der Zwischenzeit auch besser zur Seite gestellt, um das Treiben etwas genauer beobachten zu können. Was ich dann zu sehen bekomme, ist wahrscheinlich die schrecklichste Laufradvergewaltigung in der Geschichte des Motorrads. Die schön eingefettete Steckachse, die Muttern und die Lagerkappen liegen mitten im Dreck. Die Felge mit den halboffenen Lagern hat er ebenso in den Dreck gelegt, während er auf ihr steht und mit Hammer und Meisel/Brechstangen-Reifenheber versucht den Reifenwulst in die Felgenmitte zu bekommen. Ich weiß nicht, ob ich heulen, schreien oder eingreifen soll - aber will eigentlich gleichzeitig nicht unhöflich sein. So verharre ich halt zähneknirschend und hoffe auf das Beste. "Junge, das ist eine Alufelge, keine 20€ China Stahlfelge und die Lager waren wunderbar, bevor du sie in die Hände bekommen hast", wimmere ich vor mich hin. Irgendwann hat er es dann tatsächlich geschafft und die Felge scheint einigermaßen unbeschadet davongekommen zu sein. Beim Einbau vergisst er natürlich gleich mal wieder die Klemmschrauben der Steckachse anzuziehen.
Dem Hinterrad ergeht es nicht viel besser. Beim Einbau setzt er es dann völlig schief ein und bekommt natürlich die Steckachse nicht mehr vernünftig eingeschoben. Als er letztendlich zum Hammer greift, muss ich dann doch etwas unfreundlich einschreiten und mache es lieber selbst. 
Bei Miriams Motorrad lief es nicht ganz so schlimm. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass ich in Indien niemals mein Motorrad in eine Werkstatt geben werde, ohne daneben stehen zu bleiben. Diese Meisterleistung der Handwerkskunst wird mir wohl noch monatelang Albträume bereiten. Das einzig Positive an der Geschichte war - die Laufräder scheinen es überlebt zu haben und gekostet hat es eigentlich nichts. Nächstes Mal mache ich es aber definitv selbst.
Am Abend zeigt uns Bablaa ein Restaurant, welches von Frauen betrieben wird, welche Opfer von Säureattacken sind. Das scheint in ganz Indien ein Problem zu sein, wird uns erklärt. Am Anfang fühlen wir uns etwas unwohl, da wir uns wie bescheuerte Touri-Gaffer vorkommen. Letztendlich ist es aber sehr nett und die Frauen scheinen sich auch über fremde Gäste zu freuen. 
Tags darauf packen wir unsere Sachen und sind endlich wieder auf zwei Rädern unterwegs. Unser Ziel ist die heilige Stadt Varanasi am Ganges, auch Stadt der Toten genannt. Der Straßenzustand und der Verkehr dorthin ist leider eine absolute Katastrophe. Die Fahrweise der Inder hier ist oft nicht mehr lustig, sondern einfach nur noch fahrlässig und unverschämt. Man könnte fast meinen, es ist ihnen scheißegal, wenn sie dich über den Haufen fahren oder man in den Graben fliegt. Wir kommen dementsprechend ziemlich müde in Varanasi an, finden aber ein schönes Gasthaus mit direktem Blick auf den Ganges.

Die Hunde lassen sich von den Geschehnissen nicht störenBlick auf eines der großen Ghats, wo die Toten verbrannt werdenVaranasi ist die heiligste Stadt im Hinduismus und es ist der Wunsch eines jeden Hindus am Ende seines Lebens an diesem Ort beigesetzt zu werden. Die Stadt ist voll kleiner Gassen und Tempel und scheint niemals zu schlafen. Am Ganges führen überall Treppenstufen zum Ufer, wo die Menschen im heiligen Ganges Wasser baden. Die wohl außergewöhnlichsten Orte sind die Ghats. Das sind die offenen Verbrennungsplätze, von denen die Großen jeden Tag in der Woche 24 Stunden in Betrieb sind. Hier werden die Toten gewaschen und auf Scheiterhaufen aufgebahrt. Schließlich werden sie mit dem heiligen Feuer verbrannt und die Asche in den Ganges gestreut. Spezielle Hüter sorgen seit Jahrhunderten dafür, dass das heilige Feuer nicht erlischt. Das Ganze geschieht völlig offen und jeder kann dabei zusehen. Anfangs kommt man sich wirklich vor wie im Mittelalter. Überall brennen Scheiterhaufen, teilweise fallen die abgebrannten Gliedmaßen heraus und werden dann irgendwann wieder von den Arbeitern oben draufgelegt. Zwischen den Scheiterhaufen laufen Kühe herum und vespern die übrig gebliebenen Blumen oder liegen einfach nur in der Asche neben den brennenden Feuern um sich zu wärmen. 

Abendliche Zeremonie am GangesEin Kuh-Kreisverkehr in der StadtWenn man den Verbrennungen eine Weile zugesehen hat, kommt es einem schließlich gar nicht mehr so ungewöhnlich vor. Eigentlich ist es eine schöne und friedliche Beisetzung in der Öffentlichkeit. Obwohl man zuerst meinen könnte, dass überall ein furchtbarer Geruch in der Luft liegt, riecht es einfach nur ganz normal nach Feuer. Es liegt zum Großteil auch daran, dass für die Vernrennung keinerlei Kunststoff verwendet werden darf. Trotz der vielen Menschen, die sich an den Ghats versammeln, ist es dort ziemlich ruhig. Die Orte werden respektiert und dazu gehört auch keine unmittelbaren Fotos zu machen. 
Hinter den Ghats werden überall Waren für die Verbrennungen angeboten. Jede Menge Holz in verschiedenen Qualitätsstufen, Blumen, Tücher und Vieles mehr. Danach beginnt das brodelnde Treiben der Märkte, der Straßenrestaurants und der unglaublich dichte Verkehr. Varanasi ist noch eine echte indische Stadt und weit weniger "weichgespühlt" bzw. weniger westlich, als die vielen anderen indischen Touristen Städte. Die Leute hier sind sehr freundlich und auch deutlich weniger anstrengend, als z.B. in Rajasthan. Abends zeigt sich wieder einmal, wie außergewöhnlich die indische Bikerszene ist. Als sie in einem der Bikerclubs von Varanasi mitbekommen haben, dass zwei ausländische Motorradfahrer angekommen sind, führen sie uns abends kurzerhand in ein ziemlich schickes Restaurant zum Abendessen aus.

Das Kind will kein Bad nehmenDie Kumbh Mela Zeltstadt von der BrückeVaranasi ist zu diesem Zeitpunkt besonders voll. Der Grund dafür ist Kumbh Mela, das größte Festival der Welt im nahe gelegenen Allahabad. Dieses Festival dauert ca. 7 Wochen und findet nur alle paar Jahre statt. 2019 beginnt es in Allahabad am 15. Januar mit dem heiligen Bad Makar Sankranti. Millionen von Hindus tauchen an diesem Tag in den Ganges um sich von Sünden rein zu waschen. Die Festivalfläche in Allahabad beträgt über 30 Quadratkilometer. Laut Internet haben alleine an diesem Tag bis mittags um 14 Uhr bereits mehr als 1,5 Millionen Menschen ein Bad genommen. Insgesamt werden 2019 angeblich ca. 150 Millionen Menschen erwartet. 
Wir waren am Anfang nicht sicher, ob wir uns das antun sollen. Allerdings hat der Schwiegervater unseres Hotelbesitzers in Lucknow gemeint, er bekäme einen Herzinfarkt, falls wir uns das entgehen lassen würden. Das wollten wir natürlich nicht verantworten.
Da die Preise für die Unterkünfte in Allahabad während der Festival Zeit in schwindelerregende Höhen gestiegen sind, haben wir uns entschieden morgens mit dem Motorrad von Varanasi dort hin zu fahren. 

Ganz vorne am Ganges, wo die Leute ihre Sünden wegwaschenHändler verkaufen FarbenAls wir dort ankommen wird uns ziemlich schnell klar, dass das eine gute Eintscheidung war. Ich habe noch nie ansatzweise so viele Menschen auf einem Fleck gesehen. Man weiß erst nicht, ob man es cool finden oder am Besten einfach wieder wegrennen soll. Für Parkplätze ist überall gesorgt und die Menschenströme werden von den Sicherheitsleuten äußerst professionell über das Festivalgelände geleitet. Es wird ziemlich akribisch dafür gesorgt, dass die Menschen immer nur in eine Richtung laufen um Chaos zu vermeiden. 
Wir scheinen so ziemlich die einzigen Ausländer zu sein und wissen schon nach kurzer Zeit nicht mehr, wie viele Selfies wir an diesem Tag machen mussten. Menschen sind überall soweit das Auge reicht. Auf dem Ganges tummeln sich hunderte Boote vollgestopft mit Leuten. Hubschrauber fliegen über das Gelände und streuen Blumen auf die badende Meute. Die Zeltstadt ist so groß, dass man das Ende, auch von der großen Auto-Brücke über dem Ganges, mit eigenem Auge nicht erkennen kann. Obwohl wir öfters gefragt werden, ist uns die Temperatur an diesem Tag allerdings zu kalt um auch ein Bad zu nehmen. Als dann fast jeder Besucher mit uns ein Selfie gemacht hat und wir unser Motorrad wieder gefunden haben, sind wir dann auch wieder ganz froh aus der Massenveranstaltung herauszukommen und ins etwas ruhigere Varanasi zurück zu fahren.
Zurück in Varanasi bleiben wir dort noch für zwei weitere Nächte. Miriam hatte mich in der Zwischenzeit angesteckt und so kurieren wir uns noch etwas aus. Falls ich das Geröchel und Gerotze ohne Erkältung durchgestanden hätte, wäre ich auch als medizinisches Wunder in die Geschichte eingegangen.

Daheim bei der jungen BikerinDas Patna Saheb Gurdwara bei DunkelheitIn der Zwischenzeit haben die Biker von Patna schon mit uns Kontakt aufgenommen und angeboten uns dort eine Unterkunft zu suchen. Nachdem es uns wieder besser geht fahren wir daher nach Patna, da diese Stadt sowieso auf dem Weg in den Nordosten liegt. Wir treffen uns etwas außerhalb am Bahnhof und werden gleich von fünf Club-Mitgliedern empfangen und mit Blumenketten behängt. Ein Hotel hatten sie bereits reserviert und sie wollen sich sogar am nächsten Tag extra Zeit nehmen, um uns die Stadt zu zeigen. So werden wir also Tags darauf von den Jungs und Mädels durch die Stadt gefahren. Wir erkunden die Altstadt, trinken diverse Chais, laufen am Ganges Ufer entlang und besuchen abends den fantastischen Sikh Tempel Patna Saheb Gurdwara. Wie schon das Taj Mahal, ist auch dieser Tempel komplett aus weißem Marmor gebaut. Sobald es dunkel ist, wird er mit verschiedenen wechselnden Farben angestrahlt. Anschließend werden wir noch von einer jungen Bikerin, welche vor einiger Zeit alleine mit dem Fahrrad durch Indien gereist ist, nach Hause eingeladen. Sie ist ganz aufgeregt und will uns unbedingt kennen lernen, da sie auch irgendwann einmal mit dem Motorrad auf Weltreise gehen will. Ihre Familie ist auch wirklich ganz goldig.
Als wir dann nachts schließlich wieder im Hotel friedlich im Bett liegen, klingelt es plötzlich an der Tür. Ich schaue kurz auf die Uhr - es ist 2 Uhr morgens und ich vermute, dass es sich um einen Scherz oder ein Versehen handelt. Es klingelt weiterhin und schließlich klopft auch noch jemand an der Tür. Schlaftrunken stapfe ich zur Tür, öffne sie und sechs schwer bewaffnete Polizisten glotzen mich an. Sie können kaum Englisch, aber ich verstehe so viel, dass sie nach Alkohol suchen. Wir haben glücklicherweise nichts dabei, aber die Jungs meinen es trotz Uhrzeit wohl ziemlich ernst. Meine "treue Ehefrau" ist auch kurz wach geworden, nachdem ich das Licht angemacht habe. Allerdings dreht sie sich nur um, damit ihr das Licht nicht so ins Gesicht scheint. Auf Unterstützung kann ich wohl nicht hoffen? So stehe ich halt in meinem Nachtgewand (Woolpower Unterwäsche) in der Tür und sechs Augenpaare inspizieren den Raum, bis ich schließlich meine, sie sollen doch einfach reinkommen und das Gepäck näher untersuchen. Das scheint sie letztendlich zu überzeugen, dass sie wohl Nichts finden werden und sie ziehen wieder ab. 
Am nächsten Tag erklären uns die Biker Jungs, dass sich die Polizisten hier wohl so ein kleines Taschengeld verdienen wollen. Im Bundesstaat Bihar ist Alkohol strengestens verboten. Das sagt einem zwar keiner und steht auch auf keinem Schild - vor Strafe schützt das allerdings trotzdem nicht.

Die Biker aus PatnaAm nächsten Tag fahren wir weiter nach Purnia. Die Biker Club Jungs wollen uns unbedingt begleiten und so stehen am nächsten Morgen bereits ein Dutzend Biker vor unserem Hotel und warten auf uns. Als wir unser Hotel bezahlen wollen, kommt die Überraschung. Die Rechnung haben bereits die Biker Jungs komplett übernommen. Das ist wirklich der Knaller, da das Hotel mit Sicherheit nicht günstig war.
Sie begleiten uns für ca. zwei Stunden und lassen uns anschließend alleine weiter ziehen, nachdem wir noch zusammen Mittag gegessen haben.
Auch in Purnia werden wir bereits wieder von einem Biker empfangen. Das ist äußerst hilfreich, da wir bei Dunkelheit ankommen und Purnia alles andere als touristisch ist. Hier ein Hotel zu finden, wäre äußerst mühsam geworden. Da es in Purnia auch nichts Besonderes gibt, fahren wir Tags darauf auch schon nach Siliguri. 
Um nach Siliguri zu kommen, muss man den engen Korridor zwischen Nepal und Bangladesh durchqueren. Es liegt zwar geographisch gesehen bereits im Nordosten von Indien, für die Nordost Inder gehört es allerdings noch nicht dazu. Trotzdem spürt man bereits, dass die Region hier plötzlich ein ganz anderes Indien ist, als der Rest des Subkontinents.

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