Donnerstag, 10. Januar 2019

Ab in den Süden

In Mumbai wohnen im Ballungsraum knapp 30 Millionen Menschen. Alleine schon deshalb haben wir eigentlich wenig Lust dort Halt zu machen. Wir kommen früh morgens in Mumbai an. Unser Anschluss Bus fährt allerdings erst wieder abends weiter, daher beschließen wir letztendlich doch mit dem Zug in die Innenstadt zu fahren. Unser Gepäck können wir glücklicherweise im Reisebüro zurücklassen, wo unser Bus abends nach Goa weiterfährt.
Die Metrostation ist zu Fuß einfach zu erreichen, aber leider noch im Ausbau. Wir müssen daher ab der Endstation zuerst einmal ein Taxi zur nächstgelegenen Zugstation nehmen, um damit ins touristische Zentrum Churchgate zu fahren. Nachdem wir Tickets gelöst haben, erkundigen wir uns mehrfach bei den Einheimischen, welches der richtige Bahnsteig ist. Der Zug kommt schon nach kurzer Wartezeit. Wir vergewissern uns nochmals, ob das der richtige Zug nach Churchgate ist und bekommen das typische indische Kopfrollen.

Zugfahren an der offenen TürZugfahren in Indien macht Spaß. Man kommt relativ schnell voran und kann an den offenen Türen stehen, während die Landschaft an einem vorbeibraust. Längere Distanzen muss man mittlerweile aber leider Wochen im voraus vorbuchen, sonst bekommt man keinen Platz mehr. Angeblich kann man mit etwas Glück früh morgens an den Schaltern spezielle, für Touristen reservierte, Tickets bekommen. Das war uns allerdings zu unsicher und so haben wir normalerweise lieber kurzfristig die Schlafbusse gebucht.
Nach ca. 20 Minuten Fahrt spricht uns ein Einheimischer an und wir quatschen etwas mit ihm. Letztendlich fragt er uns, wo wir eigentlich hinfahren. "Nach Churchgate" antworten wir. "Ihr wisst schon, dass ihr in die falsche Richtung fahrt?" - "Was! Wir haben doch extra mindestens drei Leute auf dem Bahnsteig gefragt!" - "Das mag schon sein - ihr fahrt aber trotzdem in die falsche Richtung!". Ein kurzer Blick auf das Handy zeigt uns, dass der gute Mann Recht hat. Oh Mann, was soll dieses scheiß Kopfrollen, was offenbar soviel wie "ja", "nein", "keine Ahnung" oder "Leck mich am Arsch" heißen kann?

Links das Gateway of India, rechts das Taj Mahal Palace HotelWir bedanken uns bei dem netten Herrn und verlassen den Zug um wieder in die andere Richtung zu fahren. Obwohl das Ticket fast nichts kostet, sehen wir nicht ein nochmal ein Neues zu lösen. Es geht auch Alles gut und wir stehen nach weiteren 45 Minuten dann endlich in Churchgate.
Churchgate ist der Stadtteil in Mumbai für die indische Oberschicht. Hier gibt es Alles was das Herz begehrt zu Preisen wie bei uns daheim oder noch viel teurer. Wir schlendern etwas durch den Stadtteil und besuchen das Gateway of India, ein gigantisches Tor direkt am Meer und das dahinter gelegene Taj Mahal Palace Hotel. Leider ist zu diesem Zeitpunkt  gerade eine Militärveranstaltung vor dem Monument und so kommt man eigentlich kaum richtig hin. Wahnsinnig außergewöhnlich ist es allerdings sowieso nicht und so machen wir uns langsam wieder auf den Rückweg zum Bahnhof. Abends nehmen wir den Nachtbus nach Süd Goa.
Goa ist Indiens Party Hochburg, sozusagen Indiens Antwort auf den Ballermann in Mallorca und die meisten Geschichten von dort hören sich eher grausig an. Bei meiner ersten Reise nach Indien, hatte ich Goa daher bewusst ausgelassen. Da es aber sowieso auf dem Weg lag und viele Inder gemeint hatten, dass wir dort unbedingt hin müssten, haben wir beschlossen dort doch ein paar Tage zu verbringen. Nord Goa ist angeblich die Super Party Ecke und in russischer Hand. Süd Goa hat den Ruf deutlich ruhiger zu sein. Wir beschließen daher nach Süd Goa, genauer gesagt nach Palolem zu fahren. 
Früh am nächsten Morgen sind wir in der Nähe von Margao, der Endstation für unsere Busfahrt. Der Bus hat sich an den vorherigen Haltestellen bereits ziemlich geleert. Der Assistent unseres Busfahrers reißt plötzlich den Vorhang unserer Schlafkabine zur Seite und erkundigt sich, wo wir aussteigen wollen. Wir haben noch etwas Zeit und ihm ist wohl langweilig. Daher setzt er sich kurzerhand einfach mit zu uns in die winzige Kabine. Was man in westlichen Ländern bereits als Eingriff in die Privatsphäre bezeichnen könnte, ist hier in Indien ganz normal. Natürlich spricht er kaum Englisch und wir müssen uns mit Händen und Füßen unterhalten.

Welch Freude, das Kinder Problem ist gelöst!Er konfrontiert uns mit den typischen Standard Fragen - Herkunft, Familienstand und natürlich letztendlich Kinder. Als er hört, dass wir bereits 9 Jahre verheiratet sind und keine Kinder haben, wird er hellhörig und ist sichtlich verwirrt. Seiner Meinung nach stimmt da etwas nicht und die Sache muss näher erörtert werden. Die Aussage, dass wir keine Kinder wollen, scheint er zu ignorieren oder nicht zu verstehen. Daher bekommen wir zuerst einmal die Grundkenntnisse zum Kindermachen in Zeichensprache erklärt. Nachdem er minutenlang mit seinem Finger auf meinen Unterleib tippt und erklärt, wo man das hinstecken muss, können wir ihm zum Glück schließlich klarmachen, dass wir mit der Theorie durchaus vertraut sind. Nachdem die Theorie geklärt ist, muss seiner Meinung nach vermutlich ein medizinisches Problem vorliegen. Deshalb versucht er herauszufinden, ob das Problem bei mir oder bei Miriam liegt und wieder stupst er dauernd auf meinem Unterleib herum. "Kein medizinisches Problem, du Bachl - wir wissen wie es funktioniert - aber wir wollen keine Kinder und benutzen Kondome!". Plötzlich strahlt er wie ein Christkind - wir sind erleichtert - er hat es wohl letztendlich kapiert. "Kondome?" - er schüttelt den Kopf. "Kein Wunder, so kann das nicht funktionieren. Ihr dürft keine Kondome benutzen, um Kinder zu bekommen!". Er ist sichtlich zufrieden, da er jetzt überzeugt ist das Problem gelöst zu haben. Gleich heute Abend müssen wir versprechen, es ohne Kondome zu versuchen und wir werden sehen, dass es dann auch mit dem Kinder kriegen funktioniert. Wir haben mittlerweile aufgegeben zu argumentieren und hoffen nur noch, dass er unsere Kabine wieder verlässt. Daher sagen wir zu Allem was folgt einfach nur noch "ja". Wir bekommen mehrmals einen Kindersegen und ich werde zu meiner Freude noch viele Male geküsst. Dann verlässt er endlich unsere Kabine und geht wieder vor zum Busfahrer. Kopfschüttelnd bleiben wir zurück - was für eine Freakshow!
Das Kinder Problem hatten wir bereits viele Male zuvor in Zentralasien, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Wir haben uns daher schon überlegt einfach Fake Kinder zu erschaffen. Zwei Fotos aus dem Internet - das ist Hans und Julia, die sind zu Hause bei der Oma - und die Gespräche in diesen Gegenden wären so viel weniger anstrengend.

Unsere angedudelte Bekannschaft in GoaErleichtert verlassen wir das Gefährt und bekommen zügig einen lokalen Bus nach Palolem. Die Haltestelle ist ca. 4 Kilometer vom Strand entfernt. Nach der langen Fahrt und den irrsinnig hohen Preisen der Taxifahrer beschließen wir gemütlich zu laufen. Auf der Hälfte der Strecke essen wir eine Kleinigkeit in einem Restaurant am Straßenrand. Ein ziemlich angedudelter Einheimischer gesellt sich dazu. Er ist zwar besoffen, aber eigentlich ganz nett und weiß eine günstige Unterkunft nahe am Strand. Da sein Motorrad viel zu klein für alle zusammen ist, fahre ich mit ihm vor und anschließend fährt er zurück um Miriam abzuholen. Ganz wohl ist uns beim Zustand unseres Fahrers nicht, aber er hat unbedingt darauf bestanden und es war zum Glück auch nicht mehr sehr weit.
Die Unterkunft ist gut und wir gehen für den Sonnenuntergang noch gemeinsam auf ein Bier, als hätte er nicht schon genug, in eine Strandbar. Eigentlich will er uns am nächsten Tag die Gegend zeigen und mit uns zusammen Angeln gehen. Wir werden ihn aber nie mehr wieder sehen. Vielleicht konnte er sich am nächsten Tag auch nicht mehr daran erinnern oder ist irgendwo im Graben gelandet?
Wir verbringen drei ganze Tage in Palolem. Das Örtchen ist erstaunlich entspannt und von Party zum Glück keine Spur. Der Strand ist ziemlich leer, einigermaßen sauber und für einen Strand in Indien in Ordnung. Einen Traumstrand, wie so viele behaupten, kann man es allerdings nicht nennen. Wir scheinen allerdings Glück zu haben, da wir später noch andere Reisende treffen werden, welche Palolem, aufgrund von unerträglichen Menschenmengen und lärmenden Partys, sofort wieder verlassen hatten.
Eine Besonderheit hier am Strand sind die vielen heiligen Kühe welche sich hier tummeln und ein Sonnenbad nehmen. Das kann man durchaus als ungewöhnliches Strandbild bezeichnen. 

Auch heiligen Kühen gefällt es am StrandDer Strand in PalolemAm Strand gibt es überall Bars wo Alkohol ausgeschenkt wird. Entlang der Staße befinden sich auch etliche Läden die Alkohol verkaufen. Als wir uns das erste Mal mit zwei Bieren Richtung Meer aufmachen, erklärt uns bereits ein Einheimischer, dass das verboten sei. Daher setzen wir uns ganz an das Ende vom Strand, wo niemand mehr anzutreffen ist. Am nächsten Tag sitzen wir direkt am Hauptzugang und einige Inder um uns herum trinken Bier. Wir fragen nach, ob das jetzt doch erlaubt sei. "Natürlich sei das erlaubt!", daher organisieren wir uns auch zwei Flaschen Bier und halten nochmals nach Verbotsschildern Ausschau.
Unser merkwürdiger Strafzettel fürs Bier trinken am Strand
Als wir gerade unser Bier geöffnet haben, steht natürlich plötzlich die Polizei da. "Alkohol am Strand ist verboten, außer in den Strandbars!". Ich schaue mich kurz um - die Inder nebenan bekommen ebenso Starfzettel. Auf meine Frage, woher man das wissen soll, bekomme ich als Antwort, es würden überall Schilder hängen. Ich erwähne, dass ich am Haupteingang zum Strand kein Schild finden konnte. "Doch, doch - die Schilder stehen überall! Aber wir bekommen ausnahmsweise den kleinsten Strafzettel mit nur 200 Rupees (2,50 €)." Etwas genervt bezahle ich die Gebühr und wir fangen an unsere Sachen zusammen zu packen. Der Polizist schaut etwas verwundert und fragt was wir da machen. "Na, den Strand verlassen - es ist ja verboten hier Bier zu trinken!" - "Ja, aber ihr habt ja die Strafgebühr bereits bezahlt. Jetzt dürft ihr für 24 Stunden weiter am Strand Bier trinken. Ihr müsst nur den Beleg aufheben!" Etwas ungläubig schaue ich drein - sind die noch ganz dicht? Der Polizist meint es wohl völlig ernst. Man muss es nicht verstehen, aber das ist halt Indien und so bleiben wir eben weiter sitzen und trinken gemütlich unser Bier.
Später untersuche ich nochmals den Hauptzugang zum Strand. Hier ist wirklich nirgends ein Verbotsschild für Alkohol, sondern lediglich für Rauchen. Bei näherer Betrachtung unseres Strafzettels fällt ebenfalls auf, dass wir einen Strafzettel für Tabak Konsum in der Öffentlichkeit bekommen haben. Man beachte auch das durchgestrichene "thousand" und den Zusatz "only" auf dem Foto. Solche Vorkommnisse sind zwar anfangs etwas ärgerlich, letztendlich kann man aber im Nachhinein darüber schmunzeln und ehrlich gesagt sind gerade diese alltäglichen skurrilen Dinge, der Grund was Reisen in Indien so besonders macht.
Nach einer entspannten Zeit am Meer nehmen wir schließlich den Nachtbus nach Hampi.

Blick auf HampiUnsere Hütte in HampiHampi war damals der Hauptgrund für meine erste Reise nach Indien. Nachdem der amerikanische Kletterer Chris Sharma im Jahre 2003 seinen Film Pilgrimage veröffentlicht hatte, war für mich klar, dass ich dort augenblicklich hinreisen muss. In der Zwischenzeit hat sich in Hampi viel verändert. Damals war es noch ein winziges Dorf mit kaum Touristen, welche zur Verwunderung der Einheimischen von weit her mit seltsamen Betten (Boulder Matten) auf den Rücken, angereist waren. Die Ruinen standen noch überall verfallen in den Bananen- und Reisplantagen und niemand hat sich dafür interessiert. Jetzt laufen Kletterer aus aller Welt herum und auch viele einheimische Touristen haben bereits diese Gegend als Ausflugsziel entdeckt. Bouldermatten kann man überall ausleihen und es gibt sogar Boulder Schulen. Internet und Hotels sind überall verfügbar. Die Ruinen wurden mittlerweile zum Weltkulturerbe erklärt, werden alle restauriert, neu aufgebaut und die einheimischen Häuser teilweise entfernt um weitere Ausgrabungen zu machen. Die ganze Gegend sieht aus wie eine riesige historische Ausgrabungsstätte. 

Toller Ausblick am Hanuman TempelMiriam planscht mit ihrer Freundin Piya aus MumbaiEs wird bereits behauptet, dass das ganze Gebiet zahlungspflichtig werden soll und man zukünftig nur noch in teuren Unterkünften in Hospet übernachten kann. Für die größeren Ruinen darf man als Tourist bereits ordentlich Eintritt bezahlen, aber die andere Flussseite, wo sich mittlerweile hauptsächlich die Touristen aufhalten, ist davon glücklicherweise noch wenig betroffen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Ganze in der Zukunft entwickelt. Trotz der Veränderungen und des Trubels ist Hampi aber immer noch ein besonderer Ort geblieben. Die weißen Granitblöcke erstrecken sich in alle Himmelsrichtungen soweit das Auge reicht.
Wir haben Glück, dass wir bereits zwei Wochen vor Weihnachten ankommen, da sich die Preise dann plötzlich verdreifachen. Unser Resort Besitzer versichert uns, dass der Preis unserer Unterkunft nicht steigt und so verbringen wir insgesamt drei geruhsame Wochen an diesem Ort. Eine perfekte Zeit um ausgiebig zu relaxen, klettern zu gehen, im Fluss zu schwimmen oder etwas durch die Tempel und Ruinen zu schlendern.

In den Backwaters bei AlleppeyEiner der zahlreichen Kanäle in AlleppeyIm neuen Jahr fahren wir dann noch weiter in den Süden nach Kerala, genauer gesagt nach Alleppey. Diese Gegend ist bekannt für seine Backwaters und wird auch als Indiens Venedig bezeichnet. Viele sehen Kerala auch als eine light Version von Indien und dem können wir durchaus zustimmen. Die Menschen dort sind weit weniger aufdringlich, der Straßenverkehr ist etwas gesitteter und die Landschaft etwas weniger zugemüllt. Man kann sich frei bewegen ohne dauernd fast umgefahren zu werden, etwas kaufen oder Taxi fahren zu müssen. Die Bezeichnung "Indiens Venedig" ist zwar etwas weit hergeholt, aber die kleinen Kanäle und Dörfer in den Backwaters haben durchaus ihren ganz besonderen Reiz. Benutzt man die staatlichen Boote, kann man sehr günstig für 20 Cents den ganzen Tag durch die Kanäle fahren. Wer etwas mehr Luxus möchte, kann auch eines der vielen Hausboote mieten und draußen auf dem Wasser übernachten. Da ist man allerdings schnell bei 130 € am Tag.
Das Klima in Kerala ist schön warm für diese Jahreszeit. Nachts kann man noch problemlos im T-Shirt herumlaufen. Als wir Mitte Januar wieder einen Flug zurück nach Lucknow nehmen, ist die Temperatur dort in der Nacht plötzlich nur noch 8°C. Das Kind bekommt natürlich erst einmal eine Erkältung.

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