Donnerstag, 1. November 2018

1001 Chai

In Pakistan gibt es viele Dinge, die es bei uns nicht gibt - anders herum natürlich auch. Aber die Menschen hier haben vorallem noch Eines - nämlich Zeit. Geht man in ein Geschäft gibt es erst mal einen Chai und man unterhält sich ausgiebig. Hält man am Straßenrand kurz an, ist es nicht ungewöhlich, dass man sofort zum Chai eingeladen wird. Tankt man an der Tankstelle, ist die Chance groß, dass man einen Chai bekommt. So ist es also nicht ungewöhlich, dass man täglich manchmal 15 Chais zu sich nimmt. Für jemanden, der vor der Reise eigentlich nur Kaffee getrunken hat, ist das eine ganze Menge.
Als wir wieder nach Islamabad kommen, melden wir und bei dem netten Mann, welchen wir zuvor dort getroffen hatten und uns gebeten hatte Bescheid zu geben, sobald wir wieder zurück sind. Wir sind auch während unserer Reise in den Norden schon mit ihm in Kontakt geblieben.
Wir kommen kurz vor Einbruch der Dunkelheit in Islamabad an und, da wir keine sofortige Antwort bekommen haben, lassen wir uns erst einmal in einem der zahlreichen Stadtparks nieder. Islamabad ist wahrscheinlich die grünste Hauptstadt, die wir jemals gesehen haben. Einheimische sagen das läge daran, dass es eine recht junge Stadt ist, die komplett geplant wurde. In vielen Ecken kommt man sich nicht vor, wie in einer großen Stadt. Überall sind Parks und alles ist grün.
Wir schlagen im Park unser Zelt auf. Ob das erlaubt ist wissen wir zwar nicht, aber es sind sowieso kaum Menschen da.

Urige Schreinerei, vorallem die selbstgebastelte Tisch KreissägeEin typisches Straßenbild in RiwalpindiTags darauf bekommen wir Nachricht von Ali und wir fahren zu ihm nach Hause zum Stadtteil Rawalpindi. Wir werden voller Freude empfangen und sogar mit Pizza und Lasagne bekocht. Nach einer Dusche streifen wir durch den Stadtteil, welcher eher einem Dorf ähnelt. Alle kennen sich und, dass Fremde hier angekommen sind, spricht sich rasend schnell herum. 
Gefühlt in jedem zweiten Haus werden wir mit Tee und Knabbereien empfangen. Jeder will die Fremden zu sich nach Hause einladen. Wir können uns nicht mehr erinnern, wie viele Haushalte wir besucht haben, aber es waren wirklich sehr viele. Allerdings im Gegensatz zu unserer etwas merkwürdigen Begegnung in Besham, werden wir hier nicht wie Haustiere herumgeführt, sondern Ali fragt uns immer brav, ob das für uns in Ordnung geht. Ich frage ihn nach einiger Zeit, woher die Leute überhaupt wissen, dass wir hier sind. Er zeigt mir dann seine Whatsapp Nachrichten. Er hatte bereits über 300 Nachrichten bekommen und aufgegeben alle zu beantworten. Wir werden gleich mehrmals zum Abendessen eingeladen, sagen aber nur bei einem Mann, welcher eine riesige Garküche besitzt zu - er besteht einfach so darauf, dass wir eigentlich nicht absagen können.

Das Kind will Muskeln trainierenDas Kind mag die rote Vespa am liebstenAnschließend werden wir zu einem Herren eingeladen, welcher Vespas restauriert und diese nach Europa exportiert. Seine Angestellten präsentieren uns stolz allerlei verschiedene Modelle. Alle Vespas werden aus absolutem Schrott wieder neu zusammengebaut. Ziemlich beeindruckend, was die Jungs dort trotz einfachster Handarbeit wieder daraus machen können.
Abends wird dann beschlosssen, dass wir mit seinem Nachbarn und Freund zum Übernachten etwas außerhalb in ein Wochenendhaus fahren. Das Abendessen ist dort bereits abgemacht. Zwei Abendessen hintereinander? In Pakistan bekommt man normalerweise so viel zu essen, dass man kaum mehr laufen kann. Wie soll das funktionieren? Ali sieht es ein und versucht unsere vorherige Einladung zu verschieben. Das Abendessen ist aber bereits gekocht - wir müssen anrücken. Ali meint, dann müssen wir halt versuchen weniger zu essen.

Samosa Stand in Riwalpindi
Das Kind spielt mit den KälbernWir schlendern noch etwas durch die Stadt und werden bei einem anderen Nachbarn zum Tee eingeladen. Dieser besitzt im Hinterhof ein paar Kühe, Kälber, Ziegen und ein Huhn. Da ihm Tee nicht genug erscheint, will er losziehen und ein paar Samosas (frittierte mit Gemüse gefüllte Teigtaschen) organisieren. Wir versuchen ihm vergebens zu erklären, dass wir bereits zu zwei Abendessen eingeladen sind und schon so nicht wissen, wie wir das alles essen sollen. Leider scheint es den netten Herrn wenig zu interessieren, da wir kurze Zeit später schon einen riesigen Teller mit Samosas vor uns stehen haben.
Das erste Abendessen findet dann beim Garküchen Besitzer zu Hause statt. Traditionell wird auf dem Boden gegessen und er trägt einen gefüllten Teller nach dem Nächsten daher. Die Gerichte sind wirklich gut, aber wir müssen ja gleich nochmal Abendessen. Natürlich gibt es auch wieder jede Menge Chai und sogar Nachtisch. Als wir dann sein Haus verlassen ist uns schon ganz schwindelig. Wir steigen in Ali`s Nachbar`s Auto und fahren also zu Abendessen Nummer zwei.

Ich und mein Kumpel Ali und sein Nachbar im Miami Vice StyleDas Anwesen liegt etwas außerhalb und es ist dort sehr ruhig und schön. Sein Nachbar ist sein guter Kumpel und sorgt wohl auch sonst immer für Sicherheit. Er hat auch ständig seine Pistole dabei, welcher er uns stolz präsentieren muss. So machen wir natürlich jede Menge blödsinnige Posing Bilder und lachen uns dabei schlapp. Wir kommen uns vor wie bescheuerte 70er Jahre Action Helden aus einer schlechten Serie. Wir stopfen unser letztes Abendessen in uns rein und verbringen anschließend eine geruhsame Nacht.
Nach dem Frühstück fahren wir noch auf einen Aussichtspunkt und fahren dann zurück nach Riwalpindi.

Traditionelles FrühstückDort zurück muss Ali in die Polizeistation. Er dient hier wohl auch etwas als Streitschlichter und zwei Dorfbanden haben sich offenbar in die Haare gekriegt. Ich werde auch einfach mit in die Polizeistation genommen. Dort angekommen sitzen drei wenig beeindruckte Polizisten. Zwei davon relaxen auf einem Bett und der Dritte nimmt von einem aufgeregt berichtenden Typen mit Blut überströmten Gesicht das Protokoll auf. Ein Tuch zum Saubermachen bekommt er wohl nicht, scheint ihn aber auch nicht zu interessieren. Allgemein nehmen es alle recht gelassen - scheint hier wohl öfters zu passieren. Anschließend fahren sie den Verletzten ins Krankenhaus und wir ziehen wieder um die Häuser. Nachmittags kommen wir wieder beim Nachbarn mit den Kühen vorbei. Diesmal will er uns zum Übernachten einladen, was wir auch dankend annehmen. Wir werden natürlich auch wieder komplett mit Mahlzeiten versorgt. 
Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Lahore um Hamdan und Ibrahim wieder zu treffen.
Lahore ist die zweitgrößte Stadt in Pakistan und mit über 11 Millionen Einwohnern sind wir erst einmal ziemlich abgeschreckt und planen daher nicht länger als 4 Tage zu bleiben. Doch letztendlich kommt Alles anders als gedacht.

Das Kind und Brother Yahya in unserer UnterkunftHamdan will uns bereits im Voraus ein Hotel organisieren, aber bei unserer Preisvorstellung bekommt man seiner Meinung nach anscheinend nichts Vernünftiges in Lahore. Als wir dann schließlich Nachts nach einer chaotischen und anstrengenden Fahrt mit Eselkarren Geisterfahrern ohne Licht, wahnsinnigen Tieren die im Dunkeln auf die Straße springen und absolutem Verkehrsstau Chaos in der Innenstadt ankommen, werden wir von den Beiden abgeholt und am Stadtrand in ein Freizeit Grundstück gebracht. Hier gibt es ein kleines Haus mit Bad und Küche, eine Scheune, ein paar Hühner, Kühe und Katzen und eine Wiese mit Tischtennisplatte und Volleyball Netz. Falls es uns nichts ausmacht dürfen wir hier, natürlich kostenlos, auf den Schlafsofas übernachten.
Die Gegend ist sehr ruhig und das Grundstück liegt hinter einer Gärtnerei etwas abseits der Straße. Vier Freunde, u.A. der Vater von Ibrahim, haben sich vor vielen Jahren dieses Grundstück gekauft und es dient für viele Angehörige als Freizeit Erholungsplatz um der lärmenden Stadt zu entkommen.

Ein Schlachter am Straßenrand
Zierfischständer fürs FahrradZwei fest angestellte Jungs kümmern sich darum und sind auch für die Bedienung  und Verköstigung zuständig. Uns wird erklärt: "Wenn wir irgendwas brauchen, egal was, können wir es den Jungs sagen - dafür sind sie da!". Sokander, einer der Jungs, ist anfangs etwas schüchtern Da wir aber keine Diener gewohnt sind, nichts von ihm verlangen und ihn als ganz normalen Freund behandeln, taut er sehr schnell auf und wir haben nach kurzer Zeit jede Menge Spaß zusammen. Schade nur, dass er fast kein Englisch spricht.
Jeden Morgen bereiten sie uns Frühstück. Punkt 10 Uhr steht es auf dem Tisch. Vorher geht nicht, da das Kind seinen gesunden Schlaf benötigt. Es beginnt also den Tag erst, wenn das dampfende Omlette vor ihm auf dem Tisch steht.
Tagsüber kommen uns jede Menge Leute besuchen oder auch einfach nur vorbei um Tee zu trinken, zu essen oder Tischtennis zu spielen. 
Aus unseren geplanten vier Tagen für Lahore werden letztendlich drei Wochen. Wir überziehen sogar unser Visum für eine Woche, was in Pakistan interessanter Weise kostenlos und problemlos funktioniert. 
Ein typischer Tagesablauf sieht dort dann ungefähr so aus: Wir stehen auf und uns wird um 10 Uhr unser Omelette serviert. Das gibt es jeden Morgen und wir haben uns auch nicht getraut nach etwas Anderem zu fragen. Gegen 12 Uhr kommt Amjad vorbei zum Chai trinken. Amjad ist leidenschaftlicher Jäger, war schon in vielen Ländern unterwegs und geht dafür auch im Winter immer zwei Wochen in den Norden von Pakistan. Wir trinken dann zwei bis drei Chais und unterhalten uns. Manchmal kommen noch mehr Leute dazu, aber als erster kommt eigentlich jeden Mittag Amjad.

Wagah Border ZeremonieAbendliche DamenrundeZwischen 14 Uhr und 16 Uhr kommt dann Major Yahya. Früher kann er nicht kommen, weil wir uns immer jeden Tag bis weit nach Mitternacht in Diskussionen verstricken. Yahya nennt sich nicht nur selbst den "Braineater". Er redet gern und viel, über das Leben, Gott und die Welt. Er weiß zu jedem Thema etwas zu erzählen und frotzelt auch leidenschaftlich gerne - am Liebsten über Frauen. Die meiste Zeit verbringen wir letztendlich mit ihm. Nachmittags ziehen wir dann mit ihm durch die Stadt. Wir besuchen den Golfclub - allerdings nur zum Essen und nicht zum Golfen - wir besorgen Zubehör für die Motorräder, besuchen Bekannt- und Verwandschaft, gehen auf Märkte usw. Wenn wir dann abends wieder zurück kommen, sitzen bereits viele Leute im Garten und warten auf uns um Abend zu essen. Wir dürfen alle Fragen zu allen Themen stellen und lernen viel über den Islam und Pakistan.
Die ganzen 3 Wochen sind wir nie allein und werden behandelt wie in einer großen Familie. Langeweile gibt es keine, weil wir ständig beschäftigt werden. Wir machen Stadtrundfahrten, gehen Schlemmen, besuchen ein Sufi Konzert an einem uralten Schrein, besuchen die Wagah Border Zeremonie, machen mit dem Bikerclub Lahore eine Nachtfahrt durch die Stadt, treffen unglaublich viele Leute mit denen wir noch unglaublich "vielere" Chais trinken. Als wir nach so langer Zeit Richtung Indien weiter fahren, fällt uns der Abschied wirklich schwer.

Mit dem Biker Club Lahore
Ade Pakistan - wir kommen wieder!Pakistan übertrifft sogar noch die Gastfreundschaft im Iran. Es ist hier wirklich schwierig sein Geld los zu werden, da man nichts bezahlen darf. Selbst als wir uns für die Mopeds extra einen Motorschutz schweißen und lackieren ließen, hat weder der Schweißer noch der Lackierer Geld angenommen. Die Leute sind unglaublich herzlich. Sie wollen, dass du dich in ihrem Land maximal wohl fühlst. Sie freuen sich, dass Fremde nach Pakistan kommen und sie wünschen sich ein besseres Image auf der Welt. 
Wir haben uns nirgends in Pakistan bedroht gefühlt. Das soll jetzt natürlich nicht heißen, dass es absolut ungefährlich ist - aber mit etwas normalem Menschenverstand ist die Chance, dass etwas passiert, relativ gering.
Für uns ist auf jeden Fall eines schon klar - Pakistan ist unser bisheriges Highlight und unser erstes Land, wo wir definitv sagen können, dass wir wieder kommen werden. Vielen Dank an Brother Yahya, Brother Hamdan, Brother Amjad, Ali und alle anderen fantastischen Menschen die wir dort getroffen haben.

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